Konzeptioneller Entwurf einer Inszenierung anhand des Beispiels meiner Bühnenversion von Reservoir Dogs

Der Theaterregisseur erarbeitet sich für das Stück ein visuelles und inhaltliches Ziel, dessen Einzelteile er nach und nach wie ein Puzzle auf der Bühne zusammensetzt.

Reservoir Dogs Reservoir Dogs

Es gibt keine goldene Regel, um einen Film auf die Bühne zu transportieren. Man kann natürlich alle Szenen eins-zu-eins kopieren. Aber leider sind die originalen Schauspieler nicht verfügbar, Harvey Keitel wollte zu viel Geld und Michael Madsen kein Deutsch lernen (und Chris Penn ist mittlerweile etwas zu dick). Also werden andere Schauspieler eingesetzt. Um die Rolle von der zweidimensionalen Leinwand in den dreidimensionalen Raum der Bühne zu bringen, muß der Charakter mit Leben gefüllt werden. Der Schauspieler ist auf der Bühne ständig präsent, es gibt keine Close-Ups, die andere Figuren ausblenden. Diese Löcher müssen gefüllt werden. Er arbeitet sich in die Rolle ein, versucht sie zu begreifen und gibt seine eigene Interpretation des Charakters ab. Auf der Bühne entsteht eine Eigendynamik, die Abweichungen von der Filmfassung notwendig macht.

Eine weitere Herangehensweise ist, die Vorlage komplett gegen den Strich umzubürsten, in jede Richtung andere Wege zu gehen. Doch ist ein „Anders-Sein nur um des Anders-Sein-Wollens“ nur sinnvoll, wenn man ein komplett neues Stück machen will.

Die Inszenierung versucht, einen Weg zwischen diesen beiden Extremen zu gehen, so nah am Original wie möglich und so weit entfernt wie nötig – oder umgekehrt.

Christian Streng, Programm zum Internationalen Filmfest Würzburg 2006 


Der Theaterregisseur und die Rechte

Reservoir Dogs

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Das größte Problem zu Beginn war: „Wie komme ich an die Rechte, um das Stück zu inszenieren?“ Da es weder hier noch in Übersee ein offizielles Theaterstück dazu gibt, musste ich mir die Erlaubnis vom Rechteinhaber persönlich holen, und das ist Tarantino selbst. Leider steht der gute Herr in keinem Telefonbuch. Also hangelte ich mich telefonisch oder per Email von deutschen und amerikanischen Vertrieben zu diversen Agenturen und Agenten, die alle sehr nett und angetan von meiner Idee waren. Leider führte jede neue Adresse zu noch einer weiteren Adresse. Als ich eigentlich schon gar nicht mehr damit rechnete, sagte ein Agent plötzlich, dass er Quentin fragen würde. Nach Tagen des Wartens neben dem Telefon rief der Agent zurück und ließ mir neben schönen Grüßen ausrichten, dass Tarantino nicht rechtlich gegen mich vorgehen würde, wenn wir den Film als Theaterstück spielen. Die Rechte sind, waren und bleiben immer bei Tarantino selbst.

Damit konnte dann endlich der Startschuss für meine eigentliche Regiearbeit fallen. Zunächst musste der Text für die Bühne angepasst werden. Schweren Herzens fielen zwei der „Mr.“ dem Rotstift zum Opfer. Ihren Text habe ich auf die übrigen Gangster verteilt. Das Bühnenstück hat drei zusätzliche sowie ein paar erweiterte Szenen, die nicht in der Kinoversion sind, dafür aber im Drehbuch stehen.

Leider können wir die Welt nicht mit Merchandising-Produkten – wie z.B. dem originalgetreuen Mr. Blonde-Tacker oder einer Mr. Pink alias Michael Völkl Actionfigur – überschwemmen. Die Rechte sind ja immer noch bei Tarantino. Wer hätte solchen Merchandising-Kram schon gebraucht? Aber lustig wäre der Gedanke schon… Schließlich durften wir am 25.8.2007 in der Bar_25 in Berlin spielen, die Tarantino ein paar Tage zuvor für eine Privatparty zum Deutschlandstart seines Films „Death Proof“ gemietet hatte.


Die Bühne als Leinwand

Die weiße Bühne ist elementarer Bestandteil der Inszenierung. Sie soll eine Kinoleinwand darstellen, auf die die Schauspieler projiziert werden. Sozusagen ein 3D-Live-Kino. Das ist auch der Mehrwert des Theaters im Vergleich zum Kino. Man sitzt als Zuschauer unmittelbar dabei. Man kann das Schießpulver riechen, wenn vor der eigenen Nase geschossen wird. Wir haben versucht, das Geschehen möglichst nah an den Besucher heranzutragen, als wäre dieser ein heimlicher Beobachter am Tatort.

Auf dem weißen Hintergrund ließen sich sehr schön mit verschiedenen Lichtspots bestimmte Gebiete auf der Bühne aufhellen bzw. verdunkeln. So konnten wir verschiedene Räume auf der Bühne ohne Trennwände oder Requisitenaufwand schaffen. Dies war eine große Hilfe, um die verschiedenen Rückblenden für den Zuschauer nachvollziehbar zu erzählen. Das Bühnenbild war sehr spartanisch ausgestattet. Es dominierte der klare, helle Raum.

Reservoir Dogs

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Auch aus anderen Gründen ist die weiße Bühne wichtig. So heben sich die schwarzen Anzüge der Gangster besonders scharf vom Hintergrund ab. Es entsteht ein wunderbar räumliches Bild, das durch einen klaren Schattenwurf noch verstärkt wird. Das verströmte Blut verschmutzt im Laufe des Stücks immer mehr den Raum. So wandelt sich das Bühnenbild von einem sauberen und unschuldigen Weiß zu einem verschmutzten und blutigen Ort des Verbrechens.

Es kostete einiges an Überzeugungsarbeit, bis wir dem Theater Ensemble eine weiße Bühne abringen konnten, denn dessen Bühne ist traditionell schwarz. Der Bühnenraum wurde schließlich doch von uns weiß gestrichen. Da unsere Kunstblutmischung schwer auswaschbar war, musste nach jeder Vorstellung der Boden neu gestrichen werden. Da das Stück aber der kommerziell erfolgreichste Titel in der Geschichte des Theater Ensembles war, konnten die Farb- und Kunstblutkosten locker eingespielt werden.

Die Gastspiele gestalteten sich ebenfalls als eine aufwendige Angelegenheit. Wir versuchten die weiße Bühne, so gut es ging, über weiße Papierbahnen und Stoffe zu illustrieren. Außerdem versuchten wir, so viel wie möglich im Publikum zu spielen. Ich wollte die unmittelbare Nähe zum Zuschauer schaffen, die im Theater Ensemble gegeben ist. Dort saß das Publikum sehr nah am Bühnenrand, oft sogar auf der Bühne, wenn sehr viele Leute kamen. Leider waren die örtlichen Gegebenheiten nicht immer so optimal. Deswegen und aufgrund des weißen Bühnenbilds sowie der Lichteinstellungen gestalteten sich die Gastspiele als eine echte Herausforderung, die körperlich und nervlich Einiges an Belastbarkeit abverlangten. Ich bin schon ein bisschen stolz, dass wir das jedesmal meistern konnten.


Rot/Schwarz/Weiß

Reservoir Dogs

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Der Film hat „Style“. Das wollte ich auf die Bühne transportieren. Deshalb habe ich peinlich genau darauf geachtet, dass es nur drei Farben gibt: Rot, Schwarz und Weiß, wobei die letzten beiden dominieren. (Einzige Ausnahmen sind die silbrigen Knarren und die grünlich schimmernde Remy Martin-Flasche.) Die Schwarz-Weiß-Optik sollte helfen, eine Film Noir- Atmosphäre zu schaffen. Rot soll als Signalfarbe herausstechen. Neben Eddies Trainingsanzug ist das in erster Linie das Blut. Wir haben dafür gewöhnliches Theaterblut mit Kaffeepulver gemischt, um die tiefrote Farbe und die richtige Konsistenz zu erreichen. Das Theaterblut hat die Kosten ganz schön in die Höhe geschraubt, da wir damit auch nicht gegeizt haben. Aber die Qualität war letztlich der Grund dafür, dass ich mich nicht für eine billige Lösung entschieden habe.

Bei den Gastspielen haben wir ebenso strenge Maßstäbe an den Look des Stücks gelegt. So blieben manche Stellen der Bühne schwarz, wo wir keine weiße Bühnenstelle schaffen konnten (siehe Fotos vom Auftritt im Cairo). Bunte Stellen wurden mit Papier oder Stoffen überlagert, bunte Stellen ausgegrenzt. Den Schwarz-Weiß-Stil konnten wir durchziehen.


Moral

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„Reservoir Dogs“ ist ein hoch moralischer Film. Verrat beispielsweise wird nicht geduldet. Es geht um Loyalität und Erlösung, aber auch um die Fadenscheinigkeit und das Scheitern dieses ethischen Kodex in einem bestimmten Kontext. Selbst Mr. White, der einem menschlich am nächsten steht, duldet keinen Verrat. Mr. White mag Mr. Orange, man könnte sogar sagen, zwischen beiden herrscht so etwas wie väterliche Freundschaft. Als Mr. Orange am Ende gesteht, ein Spitzel zu sein, greift Mr. White allerdings zur Waffe. Verrat wird bestraft, weil Vertrauen, hier sogar ein leichter Anflug von Freundschaft oder zumindest Sympathie missbraucht wurde. In diesem Kontext bedeutet Strafe immer Tod. Das führt Tarantino auf eindrückliche Weise vor.

Keiner der Gangster überlebt. Und auch Eddie muss sterben. Denn er hat sich auf diesen Kontext eingelassen – man mag das für ein „Berufsrisiko“ halten oder für etwas anderes. Mr. White – ein eiskalter Gangster, der keine Skrupel hat, ein ganzes Magazin und mehr auf ein Polizeiauto abzufeuern – erweist sich in diesem moralischen System als unbescholtenster Mann unter allen.

„Reservoir Dogs“ ist formal – trotz der bewussten Brüche und Tendenzen gegen die Regeln des Dramas und des Heist Movie – eine klassische Tragödie. Und inhaltlich ebenso. Der Tod steht als Endpunkt in einem moralischen System, in dem Loyalität alles ist und deren Verletzung unausweichliche Konsequenzen mit sich bringt. Shakespeare inszenierte in dieser Hinsicht nichts anderes.

Ulrich Behrens

komplette Filmkritik unter: 
http://www.filmzentrale.com/rezis/reservoirdogs.htm